Liebe Dajana, lieber Axel, liebe Gäste,
Bildhauerei im klassischen Sinne hat immer etwas mit Kraft zu tun, mit Auseinandersetzung
und dem Gefügigmachen eines Materials, welches auch immer das sein mag. Der Steinbildhauer weckt dabei in uns Betrachtern die wahrscheinlich größte Assoziation von
einer gewaltigen, kraftvollen Auseinandersetzung mit einem schweren, harten und
widerspenstigen Material, das oft keine Fehler verzeiht.
„Man kann nicht machen was man will, sondern man kann nur machen, was das Material
erlaubt.“ So formulierte es einmal der rumänische Bildhauer Constantin Brancusi, der mit
seinen ins Abstrakte gehenden Skulpturen neue Wege der Bildhauerei eröffnete. Axel
Otterbach erlaubt das Material an die Grenzen der Machbarkeit zu gehen und wenn es dies
nicht mehr erlaubt, dann erlaubt er sich ein anderes Material.
Steinskulpturen aufgesplittet in viele Einzelschichten, filigran durchbrochen, leicht gebogen
der Schwerkraft trotzend, in stufenartiger Bogenform das sind die Arbeiten, für die der Name Otterbach steht. Genauso wie für zahlreiche Arbeiten im öffentlichen und sakralen Raum. Seit seiner Ausbildung zum Steinbildhauer in den 70er und 80er Jahren verbrachte er zahlreiche Aufenthalte in dem für seine Marmorsteinbrüche berühmten Carrara, in Florenz und an anderen Orten der Toscana.
Brancusi wurde zu einer der künstlerischen Inspirationen für Otterbach, genauso wie Henry
Moore und die Vertreter der konkreten Kunst, die er dann auch zu seiner eigenen machte
und die für ihn letztendlich das zum Ausdruck bringen kann, was er in dem Material findet
und sucht.
Horizontale und senkrechte Linien, klare geometrische reduzierte Formen, Zwischenräume,
Durchbrüche, Schichten, die Konzentration auf das Zusammenspiel von Form und Licht, all
das begegnet uns in dem klaren und kraftvollen Werk Otterbachs. In einer Kunst, die nicht in
erster Linie erzählen will, sondern die der Form und dem Material huldigt. Diese Kunst ist
weder abstrakt noch symbolisch, sie wird durch geometrische Formen erzeugt, sie ist der
reine Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz.
Als Geisteswissenschaftlerin, die gerne aus dem narrativen und opulenten Reichtum der
Querverweise und kunsthistorischen Schubladen schöpft, bringt mich konkrete Kunst
tatsächlich manchmal in eine gewisse Deutungsverlegenheit, was bei uns Kunsthistorikern
dann oft in so einer Art Überinterpretationswahn mündet. Denn wir wollen dem Betrachter ja immer etwas erklären, auch wenn das zu erklärende gar nicht gedeutet oder erklärt werden will. Nun deutet aber schon der Titel der Ausstellung Illusionen leicht bis mittelschwer, darauf hin, dass sich hinter diesen Arbeiten etwas verbirgt, subtil und auf den ersten Blick kaum spür- oder sichtbar.
Axel Otterbachs Werke bieten uns sinnliche Erlebens- und Erfahrungsmöglichkeiten, sie
bringen uns als Betrachter ins Gleichgewicht, indem sie aus ihrem eigenen Gleichgewicht
geraten. Wie in der Ankündigung zur Ausstellung beschrieben, spielt der Bildhauer virtuos
und überraschend mit unserer gewohnten Wahrnehmung, mit unserem menschlichen Hang,
vielleicht zu schnell zu deuten und zu urteilen. Um was handelt es sich? Um Marmor, um
Eisen? Schwergewichtig oder leicht – man sieht es den Werken nicht an. Sie behalten ihr
Geheimnis für sich.
Wenden wir uns zunächst den Arbeiten aus Stein zu. Axel Otterbach ist Steinbildhauer durch
und durch und wenn ich das so sagen darf, selbst ein Urgestein. Seit seinen Anfängen als
Bildhauer fasziniert ihn der Stein, fordert er ihn heraus. Bei meinem Besuch in seinem Atelier
im August schilderte er mir, dass Stein immer noch Spaß macht, vielleicht, oder gerade weil,
beispielsweise Marmor „eine regelrechte Diva“ sei. Marmor birgt in sich das Gegenspiel aus
Schwere des Materials und einer leichten ästhetischer Wirkung. Auch das Thema Zeit wohnt
dem Material Stein inne wie vielleicht keinem anderen, und findet seinen Ausdruck in vielen
Arbeiten Otterbachs auch im öffentlichen Raum, vom Zeitsprung bis zu einer an Stonehenge
angelehnten Installation.
Hier in der Ausstellung finden wir mehrere monolithische Arbeiten aus der Serie Schichtstein. Sie weisen eine leichte Krümmung und Einkerbungen auf, so als würden sie sich auffalten, der sie umgebene Raum wird zum Teil der Skulpturen. Der Bildhauer enthebt den Stein seiner natürlichen Form, er geometrisiert ihn und nähert sich genau dadurch den formalen Gegebenheiten der Natur wieder an, dem typischen geologischen Merkmal der
Sedimentgesteine, der Schichtung. Wie er selber sagt, möchte er zum Kern des Steines, zu
seinem Wesen vordringen und enthüllt uns dieses, Schicht um Schicht mittels des
Subtrahierens, des Wegnehmens von Volumen
Erst in den letzten Jahren geht der Künstler vermehrt zu additiven Verfahren über. So finden
wir finden hier in dieser Ausstellung Schichtungen ganz anderer Art, die sogenannten Wand und Raumschichten. Und hier beginnt das Spiel mit unserer Wahrnehmung nun tatsächlich,
was wie schwere Gussplatten und Stahlarbeiten aussieht, unter deren Gewicht die Wände des alten Fachwerk Gebäudes der Galerie Wiedmann eigentlich ächzen müssten, ist aus ganz
anderen Materialien gestaltet.
Wieviel Gewicht hat diese Illusion? Otterbach greift hier auf leichte Materialien zurück wie
MDF Und HDF-Platten, die er additiv zusammensetzt und miteinander zu Wandarbeiten
verschichtet. Die Oberflächen seiner streng geometrischen, quadratischen oder rechteckigen
Trägerplatten lassen sich in- und untereinander verschieben. In den geometrisch geformten
Ausschnitten und Vertiefungen der Raumschichten entstehen Schatteneffekte. Manche
Schichtungen sind deutlich dreidimensional, andere eher wieder subtiler. Manche geben die
Trägerplatte preis, andere geben Rätsel auf.
Mit einer aus korrodierten Eisenfeilspänen und schwarzen Acryl-Dispersion überzogenen
Oberfläche transformiert der Künstler die tatsächliche Leichtigkeit der MDF Platten in eine
illusionistische, gussplattenartige schwere Masse, auf deren matt-dumpfiger Farbigkeit jedes
Licht absorbiert wird. Lediglich vereinzelte Blattgoldauftragungen hellen die Arbeiten auf,
oder verstärken im Gegenteil noch den Effekt der Absorption.
Optische Täuschung findet aber nicht nur beim Material statt. Durch ihre Oberflächenstruktur wirken die Plastiken massiv und unverrückbar, formal entfalten sie aber Elastizität und Dynamik im Zusammenspiel ihrer einzelnen übereinander gelagerten Schichten. Hier ist Otterbachs Freude am Experimentieren zu spüren. Seine Wallstripes und Wandschichten scheinen über die Wände hinwegfließen und fliehen zu wollen. Trotz aller Massivität und Statik ist in ihnen ein Drängen, vorwärts und seitlich Verrückenwollen spürbar.
Gerade hier in einer Ausstellungssituation, in der die Architektur des Gebäudes den Arbeiten
ein Gegengewicht entgegensetzt, wird dieses Drängen noch spürbarer als an in einem rein
weißen Raum. Leicht bis mittelschwer bezieht sich also nicht nur auf die Materialität, sondern auch auf Bewegung, die uns unsere Wahrnehmung vortäuschen will.
Mit seinen Fotografiken und Zeichnungen geht Axel Otterbach noch einen Schritt weiter. Das
Zweidimensionale ist ein Feld, das der Bildhauer sich in den letzten Jahren zunehmend
erobert hat. Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei seine Zeichnungen, die einen ganz
eigene ästhetische Qualität in sich bergen und die mit einer kraftvollen, die Oberfläche
verletzenden Linie, von der markanten Handschrift des Bildhauers zeugen.
Im Dialog aus Skulptur und Fotografik ergeben sich reizvolle neue Wahrnehmungen. Wir
werden Zeuge einer Verdichtung von Licht, Material und Raum. Otterbach erschafft und zeigt damit neue Räumlichkeiten und Dimensionen. Das Ausgangsmaterial sind Fotos von schon realisierten, dreidimensionalen Objekten. Mit einem Stilisierungs- oder Strukturierungsfilter verändert der Künstler die Fotos am PC und transformiert sie in den Endstand einer grafischen Qualität. Diese Arbeiten, die an Prägedrucke denken lassen, entfalten für mich die Illusion einer begehbaren Stadt. Durch ihre reliefartige Optik wirken die Fotografiken wie eine Scheinbildhauerei en miniature.
Am Ende haben wir das Rätsel um die Illusionen gelöst, das Geheimnis gelüftet, das kein
Geheimnis ist und nie eins sein wollte. Axel Otterbach öffnet uns sein Wissen, sein Werk und
sein Atelier und gewährt Einblicke in sein eigenes künstlerisches Schaffen. Für ihn ist das
Atelier kein geheimnisumwitterter exklusiver Raum, im Gegenteil. Und genauso verhält es
sich mit seinen Arbeiten, die – hier möchte ich nochmal Brancusi anführen – den Betrachter
nicht dazu verleiten sollen in ihnen nach obskuren Formeln und Mysterien zu suchen, sondern
die reine Freude sind.
Uns umgaukelt eine Illusion, genießen wir sie!
Einführung zur Ausstellung Axel F. Otterbach. Illusionen leicht bis mittelschwer. Skulpturen,
Fotografik, Zeichnungen. Galerie Wiedmann, Stuttgart Bad Cannstatt, 11. September 2021
©Dr. Katrin Burtschell
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